Die etwas andere Kultuskonferenz

Faktencheck: Lösen Abminderungsstunden das Lehrkräftedefizit?

In der politischen Debatte um fehlende Lehrkräfte und Unterrichtsausfall wird gerne unterschieden zwischen „Pflichtstunden“ als Unterrichtsstunden im Sinne der Stundentafel und „weiteren Stunden“, die mal Ermäßigungsstunden, mal Abminderungsstunden, mal Profilstunden oder auch mal schlicht strukturelle Unterstützung heißen (so etwa Senatorin Busse in Berlin im Mai 2022).

Aktuell hat Roland Merten als ehemaliger Bildungsstaatssekretär und heutiger Professor an der Uni Jena den Lehrkräften (!) vorgeworfen, dass sie sich mit „teils windigen Begründungen durch sogenannte Abminderung ihrer dienstlichen Aufgaben, nämlich der Erteilung von Unterricht, in einem nicht mehr zu begründenden Umfang entledigt (haben)“ (vgl. MDR v. 6.02.2023). Er müsste es besser wissen, da er selbst die entsprechende Verfügungen in seiner Zeit als Staatssekretär in Thüringen zu verantworten hatte (vgl. z.B. VV Org S1314 für das Schuljahr 2013/2014).

Was genau sind Abminderungsstunden?

Alle Länder weisen den Schulen verschiedene Stundenkontingente zu, die alle dazu da sind, die pädagogische Arbeit vor Ort bedarfsgerecht zu realisieren und den schulgesetzlichen Pflichten nachzukommen. Beispielhaft sei hier auf die Zumessungsrichtlinie Berlins für das Schuljahr 2022 eingegangen:

Die Unterrichtsversorung im engeren Sinne (reine Stundentafel) macht ca. 65% des gesamten Lehrkräftebedarfs aus. Hinzu kommen unterrichtsbezogene Zuweisungen für den Ganztagsunterricht, Sprachförderung und sonderpädagogische Maßnahmen im Volumen von ca. 15%. Der dritte große Block sind die sog. Anrechnungs- und Ermäßigungsstunden, die nochmal 15% ausmachen und die die Entlastungsstunden für Schulleitungen (inkl. Pädagogische Koordinator*innen, Fachleitungen etc.), tarifliche Altersermäßigungen und gesetzliche Ermäßigungen für Schwerbehinderte, Ermäßigungen für die gesetzliche Aufgabe der Beschäftigungsvertretungen und zu einem gewichtigen Teil die Stunden für die schulgesetzlich verankerte Fort- und Weiterbildung (z.B. Digitalisierung, Qualifizierung in Mangelfächern) umfassen.

95% der Stunden nicht disponibel!

Es mag vereinzelte Abordnungen von Lehrkräftestellen in das jeweilige Ministerium (immer da, wo neue Aufgaben entstehen und keine Planstellen vorhanden sind), die zu hinterfragen sind; in der Summe sind dies jedoch in der Gesamtschau marginale Größen, die in Bezug auf das bestehende Lehrkräftedefizit keinen substantiellen Beitrag oder strukturelle Entlastung leisten.

Fazit

Der Vorwurf, dass sich Lehrkräfte „Freizeit zu Lasten der Schüler“ organisieren und es genügend Lehrkräfte im System gibt, die allerdings „zu wenig unterrichten“ ist blanker Unsinn. Die Abminderungsstunden dienen fast vollständig der unmittelbaren pädagogischen Arbeit und sind überwiegend gesetzlich bzw. tariflich begründet.

Abminderungsstunden eignen sich demnach nicht als Instrument zur Lösung des Lehrkräftedefizits.

1 Kommentar

  1. Florian Amon

    Das Wort „Abminderungsstunden“ ist meines Erachtens auch nicht zielführend, wenn die in diesem Rahmen erbrachten Aufgaben ja ebenso ihre Berechtigung im System Schule haben. Hamburg hat als einziges Bundesland in Deutschland ein anderes Arbeitszeitmodell, das versucht, dem gerecht zu werden, hier finden sich ein paar Erfahrungen daraus: https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/heisst-von-hamburg-lernen-wirklich-siegen-lernen/#:~:text=Das%20Modell%20geht%20bei%20der,und%2015%20Prozent%20f%C3%BCr%20Funktionen.

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