Kolumne

Migration : Populistische Schulpolitik – eine Anleitung in 6 Schritten

Wenn man keine Idee und kein ernstes Interesse hat, Schulpolitik konstruktiv zu unterstützten, bleibt nur der Rückzug in den billigen Populismus. Das zeigen die jüngsten Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz (CDU) zur „Überforderung“ des Schulsystems durch Kinder, die nicht Deutsch sprechen. Die Aussage folgt einer simplen Logik, die eine erhebliche Gefahr birgt, schreibt der Lehrer Bob Blume in seiner Kolumne.

Bob Blume
Friedrich Merz (CDU) beklagte eine Überlastung der Schulen durch Kinder mit begrenzten Deutschkenntnissen.
©Picture Alliance

Bildungspolitische Kolumnen sind nicht gerade geeignet, große Klickzahlen zu generieren. Daher sei zu Beginn der zarte Hinweis erlaubt, dass ein Aufschrei durchs Land hätte gehen müssen, als der Fraktionsvorsitzende der Unionsparteien, Friedrich Merz, seine „Strategie“, der AfD nach dem Mund zu reden, in die Medien posaunte. Aber beim Thema Bildung ist es offenbar egal, ob eine Generation von Kindern nicht lesen kann oder die größte deutsche Volkspartei Sündenbock-Populismus betreibt: Der Aufschrei bleibt aus!

Das ist auch deshalb so, weil populistische Aussagen wie jene, dass im Grunde die Migranten für die „Überforderung“ des Schulsystems verantwortlich seien, scheinbar so schön nachvollziehbar und eingängig sind. Friedrich Merz (CDU) hatte eine „Überlastung der Schulen“ durch Kinder mit begrenzten Deutschkenntnissen beklagt – und zur Lösung eine Begrenzung der Asylzuwanderung gefordert. In einem Gespräch mit der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ äußerte er: „Zu viele Schulen haben viel zu viele Kinder, die die deutsche Sprache nicht richtig beherrschen.“

Man kann förmlich das erleichterte Aufseufzen der sogenannten Mitte hören, die Merz bedient, das Aufatmen und den Verweis auf Seehofers Ausruf, Migration sei die „Mutter aller Probleme“. Man könnte auch einfach sagen: „Die Ausländer sind schuld.“ Oder „Deutschland den Deutschen“, wie die NPD 1987 für die Bundestagswahl warb. Übrigens damals mit dem Zusatz: „Scheinasylanten stoppen“. Ähnlichkeiten zur heutigen Debatte sind nicht zu überlesen, nur dass diese nun von anderen Parteien geführt wird.

Wer das für überspitzt hält, sollte sich die Strategie bewusst machen, die populistische Aussagen wie jene von Merz offenlegen. Man kann am Beispiel Merz sogar zeigen, wie populistisches Framing funktioniert. Im Grunde sind dafür 6 Punkte nötig:

1. Einfache, prägnante Botschaften ausdenken

Die Botschaft von Merz folgt dem A und O des Populismus, indem sie sehr verständlich aufgeteilt wird. Erstens sei das Bildungssystem „überfordert“. In dem kleinen Wörtchen versteckt sich eine perfide Strategie, denn anders als die AfD muss Merz den Anschein von Bürgerlichkeit wahren. Die „Überforderung“ wird also nicht direkt auf die Migrantinnen und Migranten (wer auch immer unter diese komplexe Kategorie fallen mag) übertragen, sondern die Leerstelle bleibt für den Rezipienten offen. Auffällig wird es erst, wenn deutlich wird, was Merz nicht sagt. Denn anscheinend werden die Schulen nicht von einem seit Jahren konstanten Investitionsstau, einer stockenden Digitalisierung, viel zu großen Klassen und natürlich dem Lehrermangel „überfordert.“ Alles zu komplex für die Botschaft.

2. Die Welt in „die“ und „wir“ aufteilen

Nicht erst seit dem wieder in aller Härte aufflammenden Nahostkonflikt können wir beobachten, wie stark die deutsche Tradition der Schuldzuweisung in allen Schichten ist. Aber auch hier sind es vor allem die anderen, die schuld sind. Wahlweise eben am Antisemitismus, der gerade eingewandert ist, als wäre er seit dem zweiten Weltkrieg auf einen Schlag verschwunden und erst im Zuge der Zuwanderung wieder erschienen. Oder eben, indem man fein säuberlich sagen kann, wer eigentlich verantwortlich für die Misere ist. Nicht etwa Armut (wie sämtliche Studien belegen und Soziologen aller Couleur in diversen Talkshows bestätigen), sondern die Zuwanderung. Natürlich nur die bösen, weshalb man als Christdemokratische Partei zumindest erklären muss, wer gemeint ist. Welche Leistung an Differenzierung!

3. Komplexe Probleme vereinfachen

Beides zusammen folgt der Strategie der Vereinfachung. Ist ja auch schwierig: die Bildungspolitik mit all ihren Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Da kann man als Vorsitzender einer Partei mit dem Adjektiv „Christlich“ im Namen schon mal so tun, als würde ein Asylstopp dafür sorgen, dass das Bildungssystem endlich nicht mehr überfordert wird. Wie einfach die Welt ist, wenn man es sich doch nur einfach genug macht.

4. Fakten und Daten vermeiden

Auf dem Dresdner Bildungsgipfel aus dem Jahr 2008, initiiert unter anderem von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, wurde vereinbart, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung auszugeben. Dieses Ziel wurde genau kein Mal erreicht. Von welcher Partei war die ehemalige Bundeskanzlerin noch mal? Wer genau hatte die Verantwortung für jene Teile der Bildungspolitik, die der Bund tatsächlich unter Kontrolle hat? Diese rhetorischen Fragen sind deshalb wichtig, weil der populistische Ansatz selbst dann verfängt, wenn Ursachen für komplexe Probleme nicht einfach weggewischt werden. Nach meinem ersten Post zu Merz schrieb mir eine Followerin, der Verweis auf 2008 sei einfach zu lange her. So einfach kann man es sich natürlich auch machen: So tun, als fangen Probleme genau mit jenem Aspekt an, den man treffen will.

5. Mit Ängsten und Emotionen spielen

Eigentlich muss man nicht mehr groß darüber sprechen, dass Populismus mit Ängsten und Emotionen spielt. Aber gerade in Bildungsbereich ist es wichtig, auf die Emotionen zu achten. Denn ein Komplexbündel in eine Vereinfachung zu morphen, bedeutet ja nicht, dass es nicht echte Probleme gibt. Kinder und Jugendliche, die nicht genug Deutsch sprechen, sind ein Problem; das macht den Ansatz von Merz so „attraktiv“. Auch Lehrerinnen und Lehrer können bestätigen, dass sie Probleme damit haben, wenn es keine sprachliche Basis bei ihren Schülerinnen und Schülern gibt. Deshalb ist es so wichtig darauf hinzuweisen, dass ein Politiker nicht dafür da ist, ein bestehendes Problem verkürzt und überspitzt zu beschreiben, als gehe es um eine Netflix-Serie, bei der das Skript schon beschrieben ist, sondern zu erklären, wie man es lösen kann.

6. Vom eigentlichen Thema ablenken

Und hier kommen wir zum eigentlichen Geschäft des Populisten und seiner populistischen Strategie, denn seien wir ehrlich: Kinder, Schulen und Bildung sind dem Fraktionsvorsitzenden und seiner Entourage herzlich egal. Die Bildungspolitik ist Mittel zum Zweck. Sie ist so lange Teil der Strategie, bis es eine bessere gibt. Dann wird sie weggeworfen und ignoriert. Die armen Kinder, die nicht lernen können, sind eine gut passende Metapher. Es geht darum, einen schönen, frischen Blickwinkel auf die eigentliche Absicht zu haben. Die lautet: Die Asylbewerber müssen abgelehnt werden, weil … ach ja, dem Bildungssystem geht es ja auch schlecht, das könnte man mal als Argument missbrauchen.

Nun könnte man die Äußerungen von Merz als hilflosen Versuch eines Mannes abtun, den selbst in seiner eigenen Partei nur etwa ein Drittel der Mitglieder für das Bundeskanzleramt geeignet halten. Aber damit würde man es sich zu einfach machen. Denn auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer oder der stellvertretende Unionsvorsitzende Carsten Linnemann blasen ins selbe Horn. Dass eine solche Strategie der eigenen Partei nicht hilft, sondern der in Teilen rechtsradikalen AfD, scheint für die Verantwortlichen kein Problem zu sein. Genauso wenig scheint es nötig, sich über die tatsächlichen Probleme und vor allem Lösungsstrategien im Bildungssystem zu informieren. Bildung ist einmal mehr nur eine Schachfigur in einem billigen populistischen Spiel. Man kann nur hoffen, dass vor allem diejenigen, die es betrifft, diese Strategie durchschauen und nicht darauf hereinfallen.

Zur Person

  • Bob Blume ist Oberstudienrat am Windeck-Gymnasium in Bühl und unterrichtet die Fächer Englisch, Deutsch und Geschichte. Zuvor arbeitete er an einer Realschule im Schwarzwald.
  • Neben seiner Arbeit als Lehrer betreibt er einen Youtube-Kanal und einen Blog, in dem er über die Herausforderungen des Referendariats, die Chancen der Digitalisierung und politische Themen schreibt.
  • Als „Netzlehrer“ ist er auf Instagram unterwegs und betreibt auch einen Podcast mit diesem Namen. Nebenher publiziert er für Zeitungen und veröffentlicht Texte in verschiedenen Online-Magazinen – wenn er nicht mit seiner Tochter und seiner Frau das Leben in den Offenburger Weinbergen genießt.
  • Er ist Autor des Buches „Deutschunterricht digital. Vom didaktischen Rahmen zur praktischen Umsetzung.“, erschienen im Beltz-Verlag. Im Mai 2022 erschien sein Buch „10 Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie ändern können“ im Mosaik Verlag – ein Aufruf zum Handeln, um die Schulen ins 21. Jahrhundert zu führen.
  • In seiner Podcast-Reihe „Die Schule brennt“ spricht er mit seinen Gästen über all das, was Schule ausmacht, was Schule gut macht und wo das Schulsystem Nachhilfe bräuchte.